19. März 2017

Brauchen wir in Zeiten des Klimawandels überhaupt noch Wirtschaftswachstum?



Autor: David

 

Die meisten Politiker*innen sind sich einig, was bei wirtschaftlichen und sozialen Schieflagen erforderlich ist:

Wirtschaftswachstum. Die Stimulierung der Konjunktur scheint das Allheilmittel zu sein, mit der gesellschaftlicher Wohlstand erreicht werden kann – dieses Paradigma hat sich allerdings nicht nur bei Politiker*innen durchgesetzt, sondern in der ganzen Gesellschaft. Wenn nach einer Wirtschaftskrise wieder ein leichtes Wachstum einsetzt, sind alle erleichtert; wenn die Volkswirtschaft Chinas wächst, sei das gut für die ganze Welt, und auch in Europa schaut man hauptsichtlich auf Wachstums zahlen und weniger etwa auf Statistiken zu Ungleichheiten oder Jugendarbeitslosigkeit.

 

Im öffentlichen Diskurs wird die Logik Wachstum = Wohlstand kaum hinterfragt – leider auch nicht stark genug von progressiveren politischen Kräften. Warum eigentlich nicht?

 

Mehr Wirtschaftswachstum bedeutet zunächst einmal mehr Produktion und mehr Konsum als vorher, und infolgedessen auch mehr CO2-Emissionen (auf die Frage nach grünem, nachhaltigem Wachstum wird später eingegangen). Ein sehr anschauliches Beispiel ist die Tatsache, dass die meisten Industrien mittlerweile absichtlich Produkte herstellen, die eine geringe Lebensdauer haben, sprich nach wenigen Jahren bereits verschleißen und somit ein neues Produkt gekauft werden muss (Handys, Waschmaschinen u.v.m.). Das führt selbstverständlich zu einer höheren Produktion und die Wirtschaft wächst.

 

Doch die Transportwege verursachen Treibhausgase, Rohstoffe wie z.B. Metalle müssen dafür abgebaut werden und in genug Fällen geschieht dies unter ökologisch und sozial fragwürdigen Bedingungen. Und schon fängt die Gleichung Wachstum = Wohlstand an zu bröckeln; die Umweltschäden werden nämlich nicht im BIP berücksichtigt. Viele haben die Hoffnung, man könne Nachhaltigkeit mit Wirtschaftswachstum vereinen – beispielsweise mit erneuerbaren Energien, oder dass durch Recyceln der Ressourcenverbrauch gedrückt werden kann. Dahinter verbirgt sich die Hoffnung, dass wir unseren im globalen Vergleich luxuriösen Lebensstandard und das Klima erhalten können. Das wäre natürlich toll, aber viele Expert*innen sehen diese absolute Entkopplung eher skeptisch.

 

Ohne jeglichen Zweifel sind der Ausbau der erneuerbaren Energien sowie Recyceln dringend erforderlich, aber nicht jede/r wird künftig mit einem Elektroauto herumfahren können, weil auch die Produktion von Elektroautos Ressourcen benötigt, darunter seltene und schwer abzubauende Metalle wie Lithium. Oder anders ausgedrückt: Unser westliches Konsumverhalten an sich muss infrage gestellt werden, da allein der Materialbedarf für unsere Güter so hoch ist, dass keine Technologie es vermag, die damit verbundenen Umwelt- und Klimaschäden zu kompensieren. Auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen kann es kein unbegrenztes, unendliches Wachstum geben.
 
Daher stellt sich die Frage, ob man weiter das neoliberale und wachst ums besessene Wirtschaftsmodell verfolgen will, welches darauf basiert, die Erde und somit die Lebensgrundlage zukünftiger Generationen zu zerstören, oder ob man sich Gedanken darüber macht, wie man das Verhältnis Wirtschaft – Gesellschaft neu definiert und tatsächlich nachhaltig gestaltet. Eine ganze Reihe von Ökonom*innen hat sich in den letzten Jahren genau mit dieser Frage befasst; sie sind Vertreter*innen der sogenannten Degrowth – oder Post wachstumsansätze. Autoren wie Niko Paech („Befreiung vom Überfluss – Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“) oder Tim Jackson („Wohlstand ohne Wachstum“) plädieren für eine Abkehr vom jetzigen Modell hin zu einer wirklich nachhaltigen Wirtschaftsordnung.
 
Das klingt erstmal sehr abstrakt, aber es gibt bereits unzählige Vorschläge und Konzepte – teilweise schon im Kleinen realisiert – wie das umgesetzt werden kann. Um das Ziel zu erreichen, CO2- Emissionen auf ein ökologisch nachhaltiges Maß zu drücken, ist es zunächst unausweichlich, unser Konsum – und Reiseverhalten zu begrenzen. Muss wirklich jeder ein Auto haben oder kann manauch den öffentlichen Personennahverkehr benutzen? Ist es notwendig, immer mit dem Flugzeug zu verreisen, oder gibt es auch schöne Reiseziele in Europa, die man mit dem Zug erreichen kann? Müssen wir im Winter Erdbeeren und Mangos kaufen, die vom anderen Ende der Welt kommen? Warum nicht mal zu den leckeren lokalen und saisonalen Alternativen greifen? Und muss der/die Durchschnittsdeutsche wirklich 60 Kilo Fleisch im Jahr essen, ganz abgesehen davon, dass es in dem Ausmaß gesundheitsschädlich ist? Selbstverständlich wäre das eine Umstellung; angesichts der globalen Erwärmung wäre ein solches Umdenken allerdings dringend erforderlich.

 

Hier stellt sich auch die Frage, inwiefern Glück oder Lebensqualität davon abhängt, jedes Jahr nach Mallorca oder Thailand zu fliegen, jeden Tag Fleisch zu essen und ein eigenes Auto vor der Tür stehen zu haben. Außerdem – und hier kommen wir zu einem sehr beliebten Argument – müsste das Konzept der „Arbeit“ neu definiert werden. Ist es notwendig, dass in Zeiten zunehmender Automatisierung 40 Stunden pro Woche oder mehr gearbeitet wird? Muss man ein Gehalt in einer bestimmten Höhe bekommen, wenn man keine Zeit hat, dieses auszugeben? Und macht Geld bzw. Konsum automatisch zufrieden?
 
Eine Reduktion der generellen Arbeitszeit hätte das Potential, Menschen glücklicher und gesünder zu machen. Glücklicher, weil sie mehr Zeit hätten, sich ihren wirklichen Hobbys oder Freunden und Familie zu widmen, und gesünder, weil sie mehr Zeit hätten, zu kochen, Sport zu treiben, auszuschlafen und auf ihr generelles Wohlbefinden zu achten. Es ist traurige Realität, dass unsere heutige leistungsorientierte Gesellschaft Profit über Gesundheit stellt und viele Menschen daran psychisch erkranken (siehe voriges politisches Statement von Katharina).

 

Hätten die Menschen mehr freie Zeit zur Verfügung, könnten sie sich unter anderem mehr um pflegebedürftige Angehörige kümmern, Sachen selbst herstellen anstatt zu kaufen, Gegenstände reparieren, sich mit den Nachbar*innen vernetzen, um gemeinsam Dinge zu teilen (Auto, Bohrmaschine, Waffeleisen) oder auch gärtnern, um selbst frische und gesunde Lebensmittel auf den Tisch zu bekommen. Solche Aktivitäten würden nicht nur den gesellschaftlichen Zusammenhalt, der in Zeiten des Neoliberalismus immer weiter schwindet, fördern, sondern auch die Menschen mit sich selbst, einander und der Natur verbinden.
 
Natürlich wäre eine solche sozioökonomische Transformation vom Kapitalismus weg hin zu einer nachhaltigen Postwachstumsökonomie historisch beispiellos, aber angesichts des Ausblickes, dass sich bei gleichbleibender wirtschaftlicher Tätigkeit die Erde um mindestens 3°C erwärmt, haben wir eigentlich keine andere Wahl. Nur, wenn das jetzige auf Wachstum basierte, ressourcenintensive kapitalistische Wirtschaftsmodell in Frage gestellt und abgelöst wird, hat die Erde eine Chance.


← zurück